Die Automobilindustrie erlebt gegenwärtig einen historischen Umbruch. Elektromobilität, Digitalisierung und globale Lieferkettenverwerfungen verändern nicht nur die Fahrzeuge selbst, sondern wirken tief in die Strukturen der Zulieferketten hinein. Besonders betroffen sind Zulieferer von Bauteilen, Baugruppen und Werkzeugen aus der Metallbranche. Die aktuelle Prognos-Studie „Beschäftigungsperspektiven in der Automobilindustrie“ des Verbands der Automobilindustrie (VDA) bietet eine fundierte Grundlage für zukunftssichere Entscheidungen und zeigt auf, wie Betriebe die Transformation gestalten können. Damit diese Analyse Wirkung entfaltet, braucht es jedoch vor allem Orientierung und konkrete Handlungsschritte – genau hier setzt dieser Beitrag unseres Technischen Beraters Thomas Röper an.
Weniger Teile, neue Herausforderungen
Die Fakten sind deutlich: Zwischen 2013 und 2023 ist die Zahl der Beschäftigten in der Metallbearbeitung um satte 17,1 % gesunken – und laut aktueller VDA-Studie wird dieser Trend bis 2035 anhalten. Das Arbeitskräfteangebot in diesem Bereich soll um weitere 13,2 % zurückgehen. Mit anderen Worten: Der klassische Metallberuf verliert im Kontext der Automobilbranche an Relevanz – nicht nur am Markt, sondern auch im Ausbildungsinteresse.
Langfristig stellt sich die entscheidende Frage: Wie kann das Metallhandwerk seinen Platz in der industriellen Wertschöpfung der Zukunft sichern? Die technischen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend verschoben: Elektromotoren kommen mit rund 200 statt durchschnittlich 1.400 Einzelteilen aus. Viele mechanische Komponenten, die jahrzehntelang das Kerngeschäft der Zulieferer bildeten, entfallen schlichtweg. Getriebegehäuse, Kurbelwellen, Nockenwellen – all das wird in der E-Mobilität kaum noch gebraucht.
Für viele kleinere Betriebe ist das ein Warnsignal. Wer jetzt noch auf Altbewährtes setzt, riskiert, den Anschluss zu verlieren. Die gute Nachricht: Neue Märkte entstehen bereits – etwa bei Gehäusen für Batteriesysteme, Kühlstrukturen, Hochvolt-Steckverbindungen oder thermisch optimierten Komponenten. All diese Bauteile verlangen präzise Metallbearbeitung, oft im Verbund mit Kunststoff, Dichtungen oder Elektronik.
Neue Märkte, neue Chancen
Die Automobilindustrie war für viele Zulieferer über Jahrzehnte ein stabiler Anker. Doch diese Stabilität hat auch eine Schattenseite: Wer heute noch nahezu ausschließlich vom Pkw-Geschäft lebt, gerät bei jedem Technologiesprung in Schieflage.
Die gute Nachricht: Das Metallhandwerk bringt alles mit, was auch in anderen Wachstumsbranchen gebraucht wird. Präzise Zerspanung, Baugruppenmontage, Flexibilität und Zuverlässigkeit – genau diese Kompetenzen sind etwa in der Medizintechnik, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Luftfahrt oder Robotik gefragt. Es sind Märkte, in denen Qualität zählt, Stückzahlen flexibel bleiben – und bei denen deutsche Zulieferer als Problemlöser auf Augenhöhe geschätzt werden.
Auch die Energiewende eröffnet neue Perspektiven: Ob Halterahmen für Windkraftkomponenten, Verbindungselemente für Wasserstoffsysteme oder Vorrichtungen für den Einbau von Wärmepumpen – überall braucht es robuste, maßgeschneiderte Metalllösungen. Wer hier frühzeitig die Anforderungen kennt, Kundenkontakte aufbaut und sich um branchenspezifische Zertifizierungen kümmert, erschließt sich langfristig stabile Auftragsquellen.
Flexibilität in der Fertigung wird zum entscheidenden Pluspunkt: Wer heute Einzelstücke fertigt und morgen in Serie liefern kann, positioniert sich als idealer Partner in dynamischen Märkten. Besonders spannend ist der Blick auf die Bereiche, die in der Elektromobilität oft unter dem Radar laufen – aber enormes Potenzial bergen. Zum Beispiel die Peripherie rund um die Hochvoltsysteme: Halterungen für Sensorik, thermisch isolierende Gehäuse oder EMV-optimierte Abschirmungen. Wer diese Nischen früh bedient, kann sich außerhalb des harten Preiskampfs der Großserie etablieren.
Auch klassische Kompetenzen im Werkzeug- und Formenbau bleiben gefragt – allerdings mit verändertem Fokus. Hochkomplexe Spritzgussformen für Batteriemodule, Werkzeuge für hybride Leichtbauteile oder Präzisionswerkzeuge für Elektronikkomponenten erfordern neue Materialien, digitale Prozessketten und flexible Anpassung an sich wandelnde Geometrien.
Nicht zu vergessen: der Aftermarket. Retrofit-Lösungen, Reparaturwerkzeuge, Anpassungskomponenten – überall dort, wo serienferne Speziallösungen gefragt sind, kann das Metallhandwerk punkten.
Partner finden, Potenziale heben
Allein kommt man vielleicht schneller voran – gemeinsam aber sicher weiter. In der aktuellen Phase des Umbruchs sind strategische Partnerschaften kein Nice-to-have, sondern ein handfestes Werkzeug zur Zukunftssicherung. Gerade mittelständische Zulieferbetriebe profitieren davon, sich mit Kunststoff- und Elektronikunternehmen, spezialisierten Maschinenbauern oder auch angrenzenden Handwerksbranchen zusammenzutun. Wer gemeinsam entwickelt, kann Ressourcen bündeln und schneller marktfähige Lösungen präsentieren.
Besonders wirksam zeigt sich das in der Zusammenarbeit mit Hochschulen, Technologiezentren oder Anwendungsnetzwerken. Hier entstehen praxisnahe Entwicklungsprojekte mit direktem Bezug zur Fertigung – oft mit finanzieller Unterstützung durch Förderprogramme.
Auch auf Innungsebene und in Fachverbänden schlummern Chancen. Wer sich aktiv in überbetriebliche Netzwerke einbringt, wird nicht nur früher über technologische Trends informiert, sondern kann sich auch gezielt in Pilotprojekte und Modellvorhaben einklinken.
Wissen, wirken, weiterkommen
Die Technik entwickelt sich weiter und mit ihr die Anforderungen an die Menschen, die sie bedienen. Für Zulieferer im Metallhandwerk ist deshalb klar: Ohne gezielte Qualifizierung der Mitarbeitenden wird es in der neuen Fahrzeugwelt schwer. Gefragt sind Kompetenzen in Elektrotechnik, IT, Leichtbau oder Kunststoffverarbeitung.
Ein klassischer Feinwerkmechaniker, der zusätzlich Grundlagen in Mechatronik oder Elektronik beherrscht, ist künftig Gold wert. Genau hier setzt der Bundesverband Metall an – etwa mit dem Lehrgang zur „Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten im Metallhandwerk“, der gezielt auf die Bedürfnisse unserer Branche zugeschnitten ist. Doch solche Maßnahmen kosten Zeit und Geld. Umso wichtiger ist es, vorhandene Förderprogramme zu nutzen – zum Beispiel das „Qualifizierungschancengesetz“ oder regionale Weiterbildungsinitiativen. Weiterbildung darf kein Nebenthema sein – sie ist die Basis, um den Wandel nicht nur zu überstehen, sondern aktiv mitzugestalten.
Fazit: Chancen gibt es nicht im Rückspiegel
Die Automobilindustrie verändert sich grundlegend – und mit ihr die Spielregeln für tausende metallverarbeitende Zulieferer. Was gestern noch tragfähiges Kerngeschäft war, wird morgen womöglich nicht mehr gebraucht. Doch anstatt in Schockstarre zu verfallen, gilt es, die Chancen zu erkennen: Neue Märkte entstehen, neue Bauteile werden benötigt, neue Kompetenzen sind gefragt.
Das Metallhandwerk bringt viele dieser Kompetenzen bereits mit – jetzt kommt es darauf an, sie gezielt neu auszurichten. Ob Batteriesysteme, Wasserstofftechnik oder sensornahe Präzisionsteile: Wer technologische Trends beobachtet und frühzeitig Kontakte aufbaut, verschafft sich einen Vorsprung. Kooperationen, Netzwerke und gezielte Weiterbildung sind heute strategische Werkzeuge – keine Kür. Förderprogramme stehen bereit, der Metallverband unterstützt – aber der erste Schritt muss aus dem Betrieb selbst kommen.
Kurz gesagt: Der Strukturwandel ist kein Naturereignis. Er ist gestaltbar. Und wer bereit ist, neue Wege zu gehen, hat gute Aussichten, auch in der nächsten industriellen Epoche ein gefragter Partner zu bleiben.
Checkliste für Zulieferer:
Kompetenzen analysieren und neu ausrichten
Zukunftsmärkte gezielt ansprechen (Batterietechnik, Wasserstoff, Medizintechnik etc.)
Mitarbeitende qualifizieren (Elektrotechnik, IT, Leichtbau)
Förderprogramme aktiv nutzen
Netzwerke und Partnerschaften aufbauen
Flexibilität in Fertigung und Entwicklung sicherstellen
Autor:
Thomas Röper (B.Eng.)
Technischer Berater in der Fachberatungs- und Informationsstelle
beim Bundesverband Metall in Essen
Mail: thomas.roeper@metallhandwerk.de
Der Beitrag Transformation in der Automobilbranche erschien zuerst auf Metallhandwerk.